Berliner Kältehilfe während der Corona-Pandemie – Zwischenbilanz der LIGA Berlin
Die Berliner Kältehilfe ist ein einzigartiges niedrigschwelliges Versorgungssystem für wohnungslos auf der Straße lebende Menschen. Träger der Freien Wohlfahrtspflege, Kirchengemeinden und andere ehrenamtliche Initiativen schaffen in der kalten Jahreszeit Schlafplätze für Menschen, die im Hilfesystem noch nicht angekommen sind oder aus verschiedenen Gründen nicht in die bestehenden Unterkünfte gehen können oder wollen.
Zum Ende der letzten Kältehilfeperiode im März 2020 traten die ersten Corona- Fälle in Berlin auf, erste sog. 24/7 Unterkünfte, also Unterkünfte, in denen die Menschen sich tagsüber und nachts aufhalten können, wurden geschaffen. Während des restlichen Jahres 2020 wurden einige der 24/7 Unterkünfte weitergeführt, aber unter veränderten Bedingungen und Voraussetzungen für die Nutzer*innen. Im vergangenen Winter wurden die 24/7- Plätze weiter ausgebaut und stehen allen wohnungslos auf der Straße lebenden Menschen bedingungslos offen. Im März 2021 wurden knapp 800 der gut 1.500 Kältehilfeplätze in 24/7- Einrichtungen angeboten.
Die Corona-Pandemie brachte große Herausforderungen für die Berliner Stadtgesellschaft, insbesondere für wohnungslos auf der Straße lebende Menschen mit sich. Menschen ohne Obdach können sich nicht in ihre Wohnungen zurückziehen, viele Tagesaufenthalte waren geschlossen oder ließen nur eine geringere Zahl an Besucher*innen hinein bzw. gaben nur noch Essen nach draußen aus. Der eigene Schutz vor Ansteckung war für wohnungslose Menschen ungleich schwerer zu realisieren, da es an einer Wohnung und an materiellen Mitteln zum Kauf von Schutzmasken und Desinfektionsmitteln fehlte und die Möglichkeiten der Körperhygiene stark eingeschränkt waren.
Die Schaffung von 24/7- Einrichtungen haben wir daher sehr begrüßt. Da die Menschen, die dort unterkommen konnten, sich nun nicht mehr um die Essensversorgung, das Beschaffen eines Aufenthaltsortes für tagsüber und einen Schlafplatz kümmern mussten, konnten sie sich nicht nur besser vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus schützen, sondern hatten auch die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen und sich vom Leben auf der Straße zu erholen. Dadurch wurde es einigen Menschen auch möglich, weitergehende Perspektiven zu entwickeln, um dem Leben auf der Straße zu entkommen, und an diesen zu arbeiten. Die Schaffung der 24/7- Einrichtungen hat auch gezeigt, dass vor allem obdachlose Frauen von diesem Angebot profitieren.
Erfreulich ist, dass es im Rahmen einer großen gemeinsamen Kraftanstrengung trotz massiv erschwerter Bedingungen nicht nur gelungen ist, Menschen vor Kälte zu schützen, sondern auch, umfangreichere Covid19- Ausbruchsgeschehen in der Kältehilfe zu verhindern.
Zum Ende des Winters fordern wir eine intensive Auseinandersetzung aller Akteure in Senatsverwaltungen, Bezirken, Verbänden und Trägern der Freien Wohlfahrtspflege sowie Kirchengemeinden und weiteren Initiativen mit der Frage, was wir aus der Pandemie lernen und wie wir die Kältehilfe in Zukunft modifizieren und gestalten wollen. In den vergangenen Jahren wurde die Platzzahl stetig erhöht und die Dauer der Kältehilfe verlängert. Das war einerseits gut, um den zunehmenden Bedarf decken zu können, andererseits hat es uns auch besorgt, dass so viele Menschen die Kältehilfe, ein reines Nothilfesystem, in Anspruch nehmen mussten, anstatt in ordnungsbehördlichen Einrichtungen fest unterzukommen oder besser noch in einer eigenen Wohnung zu wohnen. Ein System, in dem 1500 Menschen keinen festen Schlafplatz haben, ist keine Notlösung, kein reiner Erfrierungsschutz mehr. Es zeigt die Schwächen des Regelsystems, und die müssen wir dringend angehen.
Wir fordern die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf ordnungsbehördliche Unterbringung aller wohnungslos auf der Straße lebenden Menschen, damit die Plätze in der Kältehilfe reduziert werden können, sowie ausreichend Wohnraum für Menschen, die sich nicht selbst auf dem Wohnungsmarkt versorgen können. Damit die Kältehilfe wieder zu dem wird, was ursprünglich ihr Ziel war: Ein Erfrierungsschutz für nur wenige ohne jede Unterkunft auf der Straße lebende Menschen, die sich auch bei umfassender Umsetzung der ordnungsrechtlichen Unterbringungsmöglichkeiten sowie Vorliegen akzeptabler Standards und differenzierter Angebote nicht entschließen können, die Regelangebote in Anspruch zu nehmen.